Wenn Menschen erfahren, dass man historische Geschichten schreibt, wollen sie wissen, was die Lieblingsepoche ist. Sie gehen automatisch davon aus, man hätte eine einzige Epoche, in der man sich aufhalten würde. Bekannt von Musikern, die ständig gefragt werden, warum sie immer dreiviertel Takt spielen, statt Alla Breve oder vom Manager, der nur in Energiekonzernen arbeitet, statt in Technologieunternehmen.
Man schreibt eigentlich gar nicht, es ist schon geschrieben. Für gewöhnlich sammelt man die Informationsfetzen auf, die Historiker und Augenzeugen, Archäologen und Biografen hinterlassen haben und setzt daraus zusammen, was man für richtig hält.
Um genau zu sein wäre es besser, würde man sich in einer Epoche aufhalten. Ich könnte mehr zum Alltag zusammentragen, mehr über die Menschen erfahren. Ein bisschen ist es immer wie der Besuch in einem fremden Land, wenn man die Epoche wechselt. Die Spaghetti schmecken wie daheim, das Olivenöl aber hat nicht diesen erdigen Geschmack. Die Kartoffeln sind gut gebraten, es fehlt die mehlige Note. Zwischenmenschliche Beziehungen sehen genauso aus wie heute, tragen aber andere Kleidung und sprechen miteinander, ohne dass wir es ganz verstehen.
Immer fehlen Variablen.
Gott, was ich mich manchmal über diese Kleinigkeiten aufregen könnte!
Ich wäre nicht dazu gezwungen ständig Quellen ausfindig zu machen, um eine Geschichte zu schreiben. Eigentlich ist es enervierend. Es ermüdet ständig Quellen zu prüfen, nur um festzustellen, dass man eben doch kein Historiker ist und das, was man da schreibt, nie einem solchen standhalten würde.
Generell regt man sich gern darüber auf, dass der Wortlaut nicht dem vor zweihundert Jahren gleicht, die Kleidung nicht der vor dreihundert und auch das Verhalten stimmt so nicht, weil der Leser sich nicht damit identifizieren kann. Wozu also die Quellen? Was soll das ganze Suchen nach der einen, der richtigen Wahrheit, wenn es sie doch eh nicht gibt?
Manchmal hole ich aus der Staatsbibliothek Bücher, die ich eine Woche lang anstarre. Nur dadurch, dass sie bei mir auf dem Tisch liegen, fühle ich mich besser, klüger und bleibe guten Gewissens bewusst ahnungslos, später treffen mich Worte wie anthropomorph in dieser Unwissenheit. Ungelesen bringe ich nur wenige zurück. Angehörige sagen manchmal »Was du hast, hast du. Was du bekommst, weißt du nicht.« Deshalb lese ich sie dann doch, erst das Inhaltsverzeichnis, danach scannend, dann intensiv.
Warum die Leute ständig fragen, was die »eine Epoche« sei, kann ich nicht verstehen. Mir gefällt es, Dinge zu erfahren, zu lernen – Blödsinn, das meiste Wissen ist nicht anwendbar. Hab ein Buch über einen Sprachwissenschaftler, der Rekursivität in der Sprache in Frage stellt. Gefällt mir. Rekursion, das kennt man aus der Informatik. Werte Funktion, rufe dich selbst auf, gelangst du zum Punkt 0, dann akkumuliere alle deine Teilergebnisse und gib aus, was du berechnet hast… java.lang.NullPointerException
Bei Sprachwissenschaftlern wohl etwas anders, habe andere Quellen gesucht und bin mir sicher, dass ich gar nichts mehr verstehe.
Daneben die »Zukunft der Weltwirtschaft« – Eurobonds sind unser Untergang – pfeif auf schwarze Schwäne – Staatsanleihen sind keine Lösung – und dann das Buch des unnützen Wissens – 1480 erfand da Vinci den Fallschirm – Rochefourchat, eine Gemeinde in Frankreich, hat einen Einwohner.
Was macht man damit? Partywissen, würde ein Freund sagen. Ich gehe selten zu Partys.
Es gibt Themen, die kann ich in Geschichten verarbeiten, andere nicht. Kurzgeschichten müssen für alles herhalten, für das ich zu faul bin. Bei Kurzgeschichten wechsle ich in die Gegenwart, das Zeitgenössische oder den Weltkriegskadaver. Das nur, weil es zu viel Mühe macht, alles fein zu verpacken, dem Leser nicht auf die Füße zu treten. Gegenwart, die ist stachelig, rücksichtslos, blutrünstig, widerlich.
Im Grunde ist man als historischer Autor vermutlich eher faul. Wir lesen Bücher über Personen, Ereignisse, Fundstätten und setzen zusammen, wenn es gefällt, wie es gefällt. Im Grunde ziemlich willkürlich, ist etwas nicht Relevant, taucht es nicht in der Geschichte auf. Dann wird das Literaturverzeichnis zum Endlager. Die Informationen wurden gesammelt und nur ein Teil davon in einer Geschichte verwendet. Andere Kategorien müssen Welten bauen, erschaffen, neu zusammensetzen, das JETZT neu erklären. Ich sammle auf und setze zusammen. Früher habe ich es gehasst Collagen zu erstellen.
Manchmal, wenn ich die Menschen nicht mehr ertragen kann, ihr Verhalten, ihre Provenzialität versteckt hinter vermeintlicher Globalisierung, fahre ich weg, in das Nichts. Je mehr man erfährt, umso mehr verachtet man sich für die Dinge, die man über die Menschen denkt. Um sie wieder zu mögen, muss Abstand gewonnen werden. Ein Tapetenwechsel, ein Epochenwechsel ist dann angebracht.
Müsste man die »eine Epoche« wählen, was für ein Schicksal, ich müsste mit all dem hier aufhören.
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