Im Angesicht großer Ereignisse gilt es, ein gewisses Maß an Dekadenz zu bewahren. Nichts ist notwendiger als das Überflüssige. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse könnte es also eine nette Idee sein, ein Gericht aus der gastrosophischen Rezeptdatenbank der Uni Salzburg nachzukochen. Verschiedene Institutionen, Burgen und Schlösser bieten auch Kochkurse in dieser Richtung an. Ich finde diese Idee der Annäherung an ein Jahrhundert oder einen Ort sehr spannend. Hin und wieder möchte ich in meinen Büchern Speisen nennen. Aber wonach suchen, um Kochbücher aus anderen Jahrhunderten zu finden, wenn die richtigen Schlagwörter fehlen? Eigentlich sucht man vorrangig Alltagsgerichte, weil die meisten Menschen nicht dem Beruf eines Kurfürsten nachgingen, anders als der Mensch, dem diese Speise wohl vorgesetzt wurde. Diese Rezeptdatenbank bietet trotzdem einen guten Einstieg für weitere Überlegungen. Adelige tauchen ja auch immer wieder in der Geschichte auf. Warum also nicht? Falls Sie auf dem Land leben, sind Digitalisate für Sie auch leichter zu erreichen als das Archiv der nächstgrößeren Stadt, daher sei ein großes Danke an die Uni Salzburg gerichtet.
Das Originalrezept der Plutzty Hühner entstammt dem »Ein new Kochbuch« (1581) von Marx Rumpolt, Mundkoch des Mainzer Kurfürsten. Dementsprechend gehörten die verzeichneten Gerichte auf die Tafeln des Adels. Der Autor merkt an, dass es »ein gutes Essen ist, das auch nicht wenig kost, wenn mans haben will«. Es handelt sich also um ein kostspieliges Mahl. Ich will gar nicht wissen, wie teuer es damals war, wenn das in einem für den Adel bestimmten Kochbuch steht. Beim Einkauf betrachte ich ehrfürchtig die exotischen Gewürze, die vergleichsweise erschwinglich sind. 1581 hätte ich vermutlich mein Haus, die gesamte Ernte, das Vieh, sämtliche Verwandte und mein letztes Hemd verkaufen müssen, um einen Bissen von diesem Hühnergericht bezahlen zu können.
Es ist vergleichsweise schnell zubereitet, die Zutatenliste kurz. Eine entscheidende Eigenschaft für all jene, die zwar gern naschen und mit exotischeren Zutaten als Salz und Pfeffer experimentieren, aber dem langwierigen Kochen ablehnend gegenüberstehen. Sich Foodblogs anschauen, um einen Eindruck davon zu gewinnen wie ein Rezeptartikel aussehen muss und feststellen, dass bei den ausgewählten Speisen das Rezept erst zum Ende des Beitrags auftaucht, gehört wohl auch dazu. Weil Bilder auf der Seite der Rezeptdatenbank fehlten, sollten Sie hier ein paar hübsche präsentiert bekommen. Für die Erstellung der Bilder wären zu einer anderen Zeit drei Filmrollen verbraucht worden. Produktfotografie ist schwieriger als ich dachte. Besonders ist das dann der Fall, wenn das Licht nicht mitspielt.
Was war um/vor 1581 in der Welt los?
Iwan IV. Wassiljewitsch, der Schreckliche, lenkt Russland und erschlägt seinen Sohn. Elisabeth I. regiert Britannien. Sie wirkt auf Bildern sehr blass und zerbrechlich, konnte sich aber – bemerkenswert – auf dem Thron halten. Das war die, dessen Vater Heinrich der VIII. hieß. Wie oft war der verheiratet? Sechs mal? „Geschieden, Geköpft, Gestorben, Geschieden, Geköpft, überlebt“, fasst seine Beziehungen ausreichend zusammen. Die beiden begegnen Ihnen in Filmen und Serien immer wieder, weshalb die Ausführungen an dieser Stelle abgebrochen werden. Piraten wie Francis Drake überfallen munter spanische Schiffe, die reich beladen aus der Neuen Welt heimkehren. Wer beherrscht die Meere? Ein New Kochbuch erscheint, eines der ersten Kochbücher für professionelle Köche in der Ausbildung. In der Welt der Kunst bewegen wir uns auf den Beginn des Barock zu.
Ethik?
Plutzty Hühner bezeichnen Rebhühner oder Hühner, beim ‚plutzty‘ selbst ist man sich nicht ganz sicher. Ich entschied mich für das leichter zu beschaffende Hühnerfleisch. Wollen Sie Rebhühner, begeben Sie sich bitte selbst auf die Suche. Ich weiß nicht einmal, wo in der heutigen Zeit noch Rebhühner leben sollen. Auf einer Speisekarte von 1581 aufgeführt, stehen die bestimmt auf einer Artenschutzliste. Ist das nicht erschreckend? Da freut man sich, ein altes Kochbuch zu finden, dann lesen Sie die Zutatenliste und denken: ‚Artenschutz oder bereits ausgerottet. Warum haben die das gegessen?‘
Apropos. Gebackener Igel fand sich auch in irgendeinem Rezept. So ein süßer kleiner, flohverseuchter, zeckenbesetzter, wurmbefallener, stacheliger Wonneproppen kann verspeist werden? Ob man bei dem heute auch den Tierarzt zur Trichinenschau rufen müsste, wie das bei den Hausschlachtungen der Fall ist? Ich setze ihn lieber auf der Wiese aus, wenn er sich hier irgendwo verirrt.
Hören wir auf zu scherzen bei diesem bedrückenden Thema. Dieses Kochbuch wirft ethische Fragen auf, sodass ich bald bei den vegetarischen Gerichten angelange. So vegetarisch sind gebratene Bohnen mit Speck dann aber auch nicht.
Vorbereitung
Mir fehlen die standardmäßigen Mengenangaben heutiger Kochbücher. Das störte bereits bei dem Artikel für den Theriak. Ich dachte, dass es genügt, zunächst zu gleichen Teilen Gewürze im Zitronensaft zu vermengen. Falls Sie es nachkochen möchten, experimentieren Sie selbst ein wenig oder nutzen Sie die Mengenangaben hier als Orientierungshilfe.
Ich hatte einige Probleme ein Gericht aus der Datenbank auszuwählen. Bei vielen Gerichten und deren Zutaten entstehen Interpretationsschwierigkeiten. Eines – das klang interessant – enthielt Konfekt. Allerdings beschrieb es nicht süßes Konfekt, sondern eine Gemüsebeilage. Welche Gemüsesorten in diesem Konfekt enthalten sind, fand ich leider bisher nicht heraus. Versuchen wir uns also am Plutzty Hühnchen. Das wirft zunächst nur Fragen bei Trisenet und Limone auf. Im Italienischen heißt die Zitrone Limone. Es wird wohl die gleiche Frucht gemeint sein.
Trisenet soll eine Gewürzzuckermischung aus Zimt, Nelken, Kardamom, Ingwer, Muskatblüte und weiteren sein. Ein Koch erzählte mir, dass das Gewürze sind, die er vorrangig aus der afrikanischen Küche kennt. Gänseschmalz als Fett könnte ich mir gut zum Rebhuhn vorstellen, da es sich bei der Hauptzutat um einfaches Hühnchen handelt, wird Butter wohl auch ihren Dienst beim Braten verrichten.
Zutaten:
3 Zitronen
1 Granatapfel
1/2 Löffel Butter
400g Hühnchen
Trisenet (Gewürzzucker): ½ TL Zucker, ½ TL Zimt, 3 Nelken, ½ TL Kardamom, ½ TL Ingwer
Zubereitungszeit: ca. 20 Minuten
Braten Sie das Hühnchen in einer Pfanne aus. Teilen Sie es anschließend in mundgerechte Stücke und platzieren Sie es auf einem Teller.
Entkernen Sie den Granatapfel, während das Hühnchen abkühlt.
Pressen Sie dann den Saft aus den Zitronen. Schälen Sie den Ingwer und schneiden Sie Ihn anschließend sehr klein. Nun geben Sie diesen zusammen mit Zucker, Nelken, Zimt und Kardamom in einen Mörser und zerstoßen die größeren Zutaten zusammen mit den feineren bis ein rostbraunes Pulver entsteht.
Heben Sie die rostbraune Gewürzzuckermischung des Trisenet unter den Zitronensaft. Sobald Sie das Hühnchen servieren, gießen Sie den Saft darüber und streuen die Granatapfelkerne darauf.
Reichen Sie Brot dazu.
Die fremden Gewürze überdeckten den Eigengeschmack des Huhns. Das Zusammenspiel der Zutaten stellte ich mir als ausgleichend vor. Ich dachte, dass die intensiven Aromen sich gegenseitig aufheben, wie das bei Chili und Kokosnussmilch der Fall ist.
Es handelte sich dann um ein geschmacklich sehr intensives, erfrischendes Gericht, das sich nach meinem Dafürhalten nicht zur Zubereitung in größeren Mengen eignet, sondern sich eher als Probiergericht oder Snack anbietet.
Die Küche duftet intensiv nach Zimt, Kardamom und Zitronen. Exotisch duftend, passt es auf jeden Fall auf den Tisch eines Adeligen. Das würzig saure Bouquet erinnert stark an einige besuchte Schlossküchen, darunter die von Schloss Babelsberg und Hohenschwangau. In vielen wird seit langer Zeit nicht mehr gekocht. So bleibt die Frage offen, woraus das Schlossküchenparfum bestand und ob ich mir die olfaktorische Annäherung nur einbilde.
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