»Meine Damen und Herren, aufgrund der Überfüllung des Zuges, bitten wir Sie, die Armlehnen hochzuklappen.«
Mit den zarten Tönen, die Fingernägel auf einer Kreidetafel erzeugten, fuhr kurz darauf der Zug, zur Buchmesse Leipzig 2016 an.

Es hatte sich ergeben, dass alle etwas zusammengerutscht waren. Mehr Menschen fanden im Zug einen Platz, darunter ein gefährlich aussehendes Schokobrötchen.

Mir gegenüber saß eine betagte Dame, mit leuchtend grüner Jacke. Poison Ivy aus Batman, gut 60 Jahre älter und vierzig bis fünfzig Kilo schwerer. Sie versuchte mit ihren Augen den Jungen neben mir zu fixieren. Mit mäßigem Erfolg. Der befand sich in einem intensiven Gespräch mit seinem Schokobrötchen. Die Eltern des Kleinen bissen ihrerseits in ihre Salamigeruch verströmenden Brötchen und überließen die Aufsichtspflicht der drolligen Poison Ivy, von der ich erwartete, sie würde jeden Moment fragen: »Willst du nicht den Ofen von innen reinigen?« Eine ganz normale Zugfahrt zur Buchmesse in Leipzig also.
»Och, ist das ein Lieber«, entfuhr es der Dame.
Kurz darauf legte sich eine kleine Hand auf meinen linken Unterarm und verzierte diesen mit einem Sekret, bestehend aus Schokolade und Sabber. Die Eltern lächelten entschuldigend. In meinem Kopf tauchte das Bild eines Fuchses auf, dessen Fuß in einer Falle gefangen und der im Begriff war sich seines Beins zu entledigen. Brötchen und Kind sahen mich gleichermaßen erwartungsvoll an. Tapfer bezwang mein innerer Siegfried die Ekelgrenze, die regelmäßig bei Sabber und Würgegeräuschen erscheint.
»Wir fahren zur Buchmesse. Wo willst du hin?«
Natürlich könnte man in diesem Moment antworten, dass weit weg von Sabber und Schoki ganz gut wären, anstandshalber unterlässt man es für gewöhnlich.
Die Mutter tadelte den Jungen mit krächzender Stimme. Die Hand verließ meinen Unterarm und wanderte zur Fensterscheibe, um mit dem Sekret darauf zu malen. Entschuldigend hielt sie mir ein Taschentuch entgegen. Der Fuchs in meinem Kopf kauter weiterhin auf seinem Bein herum. Ich lächelte.

Aus einem unerfindlichen Grund blieb das Taschentuch in kleinen Bröckchen an meinem Arm kleben. Meine Begleitung gluckerte. Ich beließ es dabei, riss einen Teil aus den restlichen Lagen heraus und platzierte diesen so, dass der gesamte klebrige Fleck für den Rest der Fahrt bedeckt war.
Nachdem einige Nachfragen, was mit meinem Arm geschehen war, mit einem »Wollte den Arm abbeißen, hat zu lange gedauert« beantwortet waren, kam endlich eine Toilette in Sicht und ich konnte mich wieder auf die Buchmesse freuen. Sailor Moon tat dies auch, bis sich jemand, auf dem Ampelübergang vom Bahnhof zur Straßenbahn, auf ihre Zöpfe stellte.
Zwischen Monstern, Helden und Helfern schafften es auch einige seltsame Figuren in die überfüllte Straßenbahn, die wohl Menschen darstellten. Darunter eine Frau mit Pelzmantel und auffallend breitkrempigem Hut. Ich nehme an, sie war ein Mensch. Zu Beweisen sein wird diese These wohl nicht.

Deadpool neben mir begann damit sich, mit einigen anderen neu gewonnenen Mitstreitern, darauf zu einigen wer der Beste im Land sei.

Die Frau im Pelzmantel sprach darüber, wie schade es sei, dass heutzutage die Menschen keine Hüte mehr tragen würden. Derlei Ausschweifungen, wie es diesertage geschieht, habe es zu ihrer Jugend nicht gegeben. Für gewöhnlich kann man diese Monologe mit einem freundlichen Lächeln und mehreren desinteressierten »Hm« abwürgen. Die Dame ließ sich jedoch nicht beirren.

Meine linke Gesichtshälfte machte Bekanntschaft mit der Achselhöhle von Deadpool. Das Gespräch der Hutdame driftete zu Pferderennen ab. Meine Gesichtshälfte zunehmend in die Nähe Deadpools. Zwei Menschen stiegen aus, fünf stiegen ein. Deadpool beantwortete derweil die Anfrage auf ein Promo-Video mit einem freudigen Kopfnicken.

»Hätte man den Baumarkt hier nicht hingebaut, hieße die Haltestelle wohl Feldweg.«
Die Straßenbahn lächelte. Irgendjemand war so freundlich den Türknopf zu drücken, damit sie sich an jedem Halt öffnete. Meine Gesichtshälfte war warm und befeuchtete sich.

Die Dame mit Pelzmantel verfiel in eine Art rhythmischer Schnappatmung, die eine eventuelle Atemnot hätten anzeigen können, wie auch eine neuartige Yogaübung. Ich tippte auf die Yogaübung und versuchte meinerseits den verreckenden Kranich nachzustellen, um in eine bequemere Stehposition gelangen.
Eine zu fett gewordene Schlange würgte uns aus ihrem Inneren hervor, als sich die Türen öffneten mit den Worten »Messe«.
Nervosität umstrich meine Beine, wie eine rollige Katze und forderte mich auf, sofort den riesigen, wunderschönen Glaspalast vor mir zu erkunden. Schweren Herzens verabschiedete ich mich von der warmen, feuchten Achselhöhle Deadpools und machte mich erneut auf die Suche nach einer Toilette, bevor die Ekelgrenze ein weiteres mal überschritten wurde und traf auf Belle.

Buchmesse Leipzig 2016- Kostüme